Tapferes Venezuela!

Ich halte die Bordkarte an mein Kinn und lächle fröhlich. Allerdings gehen mir trotz meines, per Selfie deklamierten, Optimismus ein paar Dinge nicht aus dem Kopf. Ich wäre bedeutend lockerer, wenn ich nach Russland fliegen würde.

Über Venezuela gibt es fast nur negative Berichte in der Presse, die anderen Teilnehmer unserer Reisegruppe sind abgesprungen und in Kommentaren auf facebook wird mir nicht etwa „Viel Spaß!“ gewünscht, sondern „Komm heil zurück!“.

Es ist die Rede von Raubüberfällen am helllichten Tag und Entführungen, doch letztlich passiert das auch woanders. Du kannst auch in London, Paris und sogar in Berlin (2017 im Schnitt zwölf Fälle pro Tag) zur falschen Zeit am falschen Ort sein. Richtig übel finde ich daher nur den Gedanken, dass ich auch der Polizei nicht trauen darf.

In Medellín hatte mir eine junge Venezolanerin erzählt, dass sie mit der Waffe an der Stirn zum Einstiegen in einen Polizeiwagen gezwungen wurde, dort alles abgeben musste was sie
bei sich trug, um dann in einer einsamen Gegend abgesetzt zu werden. Allerdings war sie auch am späten Abend alleine unterwegs gewesen und hatte den Polizeiwagen selbst angehalten.

All das werde ich garantiert nicht tun.

cayo de agua strand
Strand von Cayo de Agua auf Los Roques

Auf der anderen Seite wurden mir jedoch auch Videos von ausgelassenen Partys an Traumstränden gezeigt. Von Motoryachten, teuren Autos und gut gelaunten schönen Menschen in exklusiven Clubs. Keine Rede von Hunger und Gewalt.

So liegt die Wahrheit wohl dazwischen. Menschen gehen überall ihren Tätigkeiten nach, feiern, verlieben sich, freuen sich trotz aller Schwierigkeiten ihres Lebens.

Denn kaum etwas ist in Wirklichkeit so schlimm, wie die Berichterstattung es uns gerne glauben machen möchte.

Willkommen im Sozialismus

tourismusbuero am flughafen von Caracas
Gleich drei große Führer empfangen ihre Touristen


Hier geht es zur Bildergalerie

Um die Ladezeiten möglichst kurz zu halten, habe ich Galerien mit mehr Bildern ausgelagert. 

Die Wand ist rot, davor sind Fahnen drapiert und diagonal absteigend die Porträts der drei großen Führer: Simon Bolivar, Hugo Chavez und Nicolas Maduro. Alle Abholer müssen von diesem Büro des Ministeriums für Tourismus akkreditiert sein. Auch wenn der Transfer vorab gebucht wurde, läuft der Kontakt ausschließlich über diese Stelle. Wer sich dennoch von einem falschen Taxifahrer entführen lässt, ist wirklich selbst schuld. Schon mal beruhigend.

Vom Flughafen aus geht es durch eine graue Gegend zu unserem Hotel, das am Strand liegen soll. Es ist fast Mittag, doch auf den Straßen herrscht kaum Verkehr, Staub liegt in der Luft, alles ist wie mit einem Grauschleier überzogen. Betonbauten aus den 1960er Jahren des letzten Jahrhunderts, vierspurige Straßen und trotz tropischen Klimas nur sehr wenig grün. Hier sieht es aus, wie in jedem Land der dritten Welt. Mich fasziniert die Atmosphäre, vielleicht weil sie mich auch an meine Jugendjahre im Portugal der 1970er erinnert.

hotel villa playa
Schon mal ein Hochsicherheitshotel gesehen?

Das Hotel heißt zwar Villa Playa, liegt jedoch mitnichten am Strand sondern in einem Villenviertel ein paar Querstraßen landeinwärts. Von außen wirkt es, praktisch fensterlos mit Stahltor, hohem Zaun und Scheinwerfern, eher wie ein Gefängnis. Hier bleiben die Crews der Fluggesellschaften und die paar Touristen, die nicht im Dunkeln weiter reisen möchten.

Unser Weiterflug geht früh am nächsten Morgen. Es gibt Bier, Wein, Rum und erstaunlich gutes Essen am Pool. Hinter einem Elektrozaun.

Sie hat Volkswirtschaft studiert, doch nun arbeitet sie als Kellnerin im Flughafenhotel. Xiomara wünscht sich natürlich mehr Freiheit, doch steht sie auch einer amerikanischen Einmischung sehr kritisch gegenüber, da sie befürchtet, dass das Land dann zwischen Walmart und Starbucks aufgeteilt werden würde und die Venezolaner weiter arm bleiben. Daher will sie lernen, was immer sie lernen kann und nach Spanien reisen. „Man kann dir alles nehmen, nur Wissen kann dir niemand mehr nehmen.“

Xiomara, Kellnerin

Wie aus dem Bilderbuch – Los Roques

los roques archipel
Der Hafen von Gran Roque

Um fünf Uhr morgens klopft es an der Zimmertür. Das aufmerksame Hotelpersonal erinnert daran, dass unser Bus zum Flughafen bereitsteht. Dort angekommen stehen wir verloren herum, wir finden keinen Schalter für den Check in. 

Der käme erst in einer halben Stunde verstehe ich zwar, kann es mir jedoch nicht vorstellen. Etwa 50 Minuten später wird dann aber tatsächlich ein Poster mit der Aufschrift “Fly Los Roques” aufgestellt und zwei junge Männer setzen sich hinter einen Tresen. Einer nimmt die Pässe entgegen, der andere schreibt sorgfältig von Hand die Passagierliste. Danach ebenso hingebungsvoll die Bordkarten. Sitznummern gibt es nicht, ich sichere mir einen Platz direkt hinter den Piloten. Es gibt auch keine Cockpittür!

Los Roques ist ein Archipel aus insgesamt 67 Inseln, eine knappe Flugstunde nördlich von Caracas mitten in der karibischen See gelegen. Es waren zwei traumhafte Tage, doch gibt es von dort nicht allzu viel zu erzählen. Ich lasse lieber die Bilder der Galerie sprechen.

Alex ist ehemaliger Boxer der Nationalauswahl und arbeitet jetzt für unsere Posada auf Los Roques. Er erzählt mir, dass die Versorgungslage insgesamt nicht schlecht ist. Los Roques sei zwar ohnehin eine andere Welt, doch auch in den Städten enthielten die sogenannten CLAP Kisten der Regierung genug, um die Ernährung zu sichern.

Alex, der Mann für alle Fälle

Stadtrundfahrt in Caracas

blick auf Caracas
Ausblick auf Caracas

Unser schwerer Geländewagen rollt schon seit geraumer Zeit über eine enge Straße steil bergab. Dann öffnet sich diese auf einen Platz. Er ist von Mehrfamilienhäusern aus den 1960er Jahren umgeben, die einmal ganz hübsch gewesen sein müssen. Hier wohnt die Mittelklasse, doch ist der Verfall unübersehbar. Anstrich und Putz lösen sich großflächig ab, die Geländer der Balkone sind verrostet und aus Ritzen im Mauerwerk wuchert Gras. Trotzdem ist alles sauber und so weit wie es eben geht in Schuss gehalten. Die Gegend wirkt arm, doch nicht verwahrlost.

Je weiter wir in Richtung Zentrum fahren, desto höher wird die Bebauung. Nun sind es Hochhäuser aus den 1970ern. Sie bieten ein ähnlich trauriges Bild. Die Geschäfte im Erdgeschoß sind zwar geöffnet, doch sieht es aus, als wäre hier die Zeit vor 30 Jahren stehen geblieben. Es sind an diesem frühen Nachmittag auch nicht viele Menschen unterwegs.

Straßenszene in Caracas
Straßenszene in Caracas

Wir erreichen die Metrostation „Central“. Hier stehen die „Zwillingstürme von Caracas“, ein großes Büro-und Einkaufszentrum. Einstmals waren sie der Stolz der aufstrebenden Ölnation, heute sind viele der Glasflächen blind, der Beton schwarz gefleckt. Auf Terrassen welken Pflanzen vor sich hin und viele Fenster sind selbst in den höheren Stockwerken vergittert.


Hier geht es zur Bildergalerie

An der Metro Station Central

Hier  halten wir an, um neue Gäste unserer Posada abzuholen. Ich steige aus dem Auto, die Sonne brennt vom Himmel und auch hier ist kaum jemand zu sehen. Die Atmosphäre ist irgendwie bedrückend, deswegen gehe ich nur ein paar Schritte weit und mache Fotos von der unmittelbaren Umgebung.

Instinktiv halte ich Ausschau nach Motorrädern mit Beifahrer und nach Uniformierten. Beim klassischen südamerikanischen Raubüberfall hat immer der Kerl auf dem Soziussitz die Pistole in der Hand. Polizisten dagegen, könnten meine Knipserei zum Anlass nehmen und behaupten dass Fotografieren genau hier verboten ist. Dann wäre für den „Gesetzesverstoß“ meine Barschaft fällig und die Kamera dazu. Insgesamt fühle ich mich nicht sehr entspannt und setze mich gerne wieder in das verhältnismäßig sichere Auto, einen mächtigen Toyota Landcruiser mit abgedunkelten Scheiben.

Kennt ihr die Actionfilme, in denen der Held in irgendeinem Dreckloch der Dritten Welt Geiseln aus den Händen eines korrupten Finsterlings befreien muss? Genau so komme ich mir im Zentrum von Caracas vor. Einige dieser Filme spielten tatsächlich dort

Der einzige Fahrgast

Frank, einer der neuen Gäste, arbeitet hier als Taxifahrer. Erst letzte Woche wurde er mal wieder überfallen, diesmal als Fußgänger. Am helllichten Tag stoppt ein Motorrad neben ihm, der Kerl auf dem Soziussitz hält ihm eine Pistole an die Stirn und fordert das Smartphone. „Hier kaufst du dir einfach kein iPhone“ meint er lakonisch. Aus seiner Berufspraxis in den Straßen von Caracas könnte er wohl so manches erzählen, ist aber recht zurückhaltend. Er meint lediglich, dass Kollegen mit weniger Glück gleich um ihr Taxi beraubt wurden.

Ich frage auch diese beiden nach der Versorgungslage. Tania, Franks Freundin, meint das habe sich in den letzten Jahren sogar gebessert. 2016 hätten sie hauptsächlich von Mango und Yucca (einer Art Kartoffel) leben müssen, jetzt gebe es eigentlich alles, auch wenn man wissen müsse wo und wann.

Oase in den Bergen

Vor uns hat die Nationalgarde die Straße gesperrt. “Runter mit den Handys und schaut die Leute nicht an” rät Erwi, unser Fahrer. Die rechte Spur ist durch einen Pick-Up Truck blockiert, links und rechts der verbliebenem Fahrspur stehen Soldaten (und Soldatinnen), ihre russischen Schnellfeuergewehre halb im Anschlag. Langsam schieben wir uns an ihnen vorbei, sie blicken argwöhnisch in unser Auto, lassen uns jedoch weiterfahren.

Ich bin wirklich froh, als wir die Stadt verlassen. Wieder geht es auf der engen Straße steil bergauf. Von Caracas bis nach Calipan sind 1.600 Höhenmeter zu überwinden. Dort sieht die Welt komplett anders aus. Auch hier sind zwei Posten mit Bewaffneten zu durchlaufen, doch man kennt sich, tauscht durch das offene Fenster ein paar Scherzworte aus und fährt weiter. 

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass hier oben eine recht privilegierte Klientel wohnt. Die Grundstücke sind groß, wenn auch in die steilen Hänge gedrückt, alle Häuser sehr hübsch und gepflegt. In den Auffahrten parken schwere japanische Geländewagen, ohne die geht hier sowieso nichts.

Rodolfo, unser Gastgeber ist pensionierter Tierarzt und hat im Staatsdienst gearbeitet, Lebensmittelkontrolle. Von der lächerlichen Pension könne er nicht leben, doch Gott sei Dank habe er die Posada mit ein paar Bungalows zum Vermieten. Im zugehörigen Restaurant gibt es abends Rinderfilet mit Pommes, sowie Salat und Tomaten aus dem eigenen Garten. Auf den ist Rodolfo besonders stolz. 

Nein, uns fehlt es an nicht, wir haben alles. Über den Sozialismus kann er nur lachen: “Das ist das Paradies der Faulpelze und Nichtsnutze.”

Er hat uns nach Caracas gefahren und ist ebenfalls gegen Maduro und den Sozialismus. Glaubt jedoch, dass arme Leute auch in Europa immer weiter an den Rand des Existenzminimums getrieben werden. Die Gelbwesten Proteste in Frankreich zeigten das medienwirksam. Seinem Bruder, der seit 12 Jahren in Narbonne arbeitet musste die Familie aus Venezuela Geld schicken, damit er sich eine eigene Wohnung kaufen konnte. Von seinem Verdienst in Frankreich hätte er sich das nicht leisten können.

Erwi
Himmlische Ruhe in der Natur

Auch das Frühstück ist derart reichhaltig, dass wir mit einer Portion auch zu zweit bestens bedient sind. Not leidet hier wirklich niemand und alle Menschen, die ich in diesen fünf Tagen Venezuela befragen konnte haben mir das bestätigt. 

So sehr sie alle Maduro zum Teufel wünschen, glauben sie dennoch nicht daran, dass 300.000 Menschen vom Hungertod bedroht sind, wenn nicht sofort Hilfsgüter ins Land gelassen werden. Maduro nennt diese Hilfslieferungen ein “Trojanisches Pferd” und beschwört, dass Venezuela es nicht nötig hat zu betteln. 

Auch wenn ich mich nur kurz in diesem wunderschönen Land aufhalten konnte, scheint er nicht ganz unrecht zu haben. Versteht mich bitte nicht falsch, wenn ich einem Sozialisten etwas schlechtes anhängen kann, tue ich es gerne und aus ganzem Herzen, doch den hehren Absichten USA traue ich genauso wenig über den Weg.

Entgegen aller Unkenrufe habe ich gute Tage in Venezuela verbracht. Ich habe es auch geschafft, das Land an jenem turbulenten Tag zu verlassen, als Maduro die Hilfslieferungen gewaltsam gestoppt hat und die Beziehungen zum Nachbarland Kolumbien abbrach. Nach zwei Stunden Wartezeit an der Passkontrolle wegen eines “Systemfehlers”. Allerdings haben mich die Kolumbianer bei der Wiedereinreise ebenfalls eine gute Stunde warten lassen. Man fragt sich wofür.

Die Menschen, die ich hier kennenlernen durfte waren tüchtig und fantastisch motiviert, trotz oder gerade wegen der Schwierigkeiten im Alltag. 

Animo Venezula! Ich komme gerne wieder.


Hier geht es zur Bildergalerie

Versunkene Kultur auf Rapa Nui

Marion drückt mich fest an sich und küßt mich auf beide Wangen. Dann hängt sie mir eine Blumenkette um den Hals und strahlt: “Willkommen auf Rapa Nui!” 

Die rechte Antriebswelle ihres alten Peugeot Vans kracht beim Anfahren markerschütternd. Marion sieht, wie ich das Gesicht verziehe und meint, dass die Ersatzteile ja schon lange bestellt wären. Es sei eben so eine Sache, alles käme mit dem Schiff und das kann dauern… Dann fährt sie fröhlich fort, dass sie mir nun erst einmal die Stadt zeigen werde, bevor wir zu ihrem Hotel fahren.

Hanga Roa
Skyline von Hanga Roa Downtown

Die ist recht übersichtlich, Hanga Roa besteht aus der Uferstraße und der parallel dazu verlaufenden Hauptstrasse. Dazwischen Querstraßen mit kleinen Bungalows in blühenden Gärten. Nahezu alle der 6.000 Insulaner leben hier, zusammen mit ihren Haustieren. Frei laufende Hunde, bin ich aus Asien gewöhnt. Dagegen lassen frei laufende Pferde, doch erst mal staunen.

Überhaupt strahlt der ganze Ort eine derart fröhliche Unbekümmertheit aus, dass ich mich auf Anhieb wohl fühle. Von Vorschriften scheint man hier jedenfalls wenig zu halten. Motorräder werden ohne Helm bewegt und den meisten Autos sieht man nur zu deutlich an, dass sie kein TÜV aus dem Verkehr ziehen kann. Gebaut wird mit dem was da ist und so, wie man es braucht. Dank der vielen tropischen Pflanzen sieht es dennoch sehr hübsch und irgendwie ordentlich aus. 

Marion erzählt mir, dass es auf der Osterinsel sogar ein Gefängnis gibt. Aufgrund der üblen Vorgeschichte chilenischer Unterdrückung darf nämlich keiner ihrer Einwohner auf dem Festland bestraft werden. Derzeit sitzen dort fünf Häftlinge. Einer wegen Totschlags bei einer Rangelei in der Kneipe, die anderen wegen häuslicher Gewalt. 

Außer den Prügeleien, meist unter Alkoholeinfluss,  gibt es keine Kriminalität. Die Insel kommt dem libertären Traum einer sich selbst regulierenden Gemeinschaft nahe.

Verträumtes Paradies

ein pferd im garten
Ein Gefühl von Freiheit und Abenteuer

In der Vergangenheit muss hier jedoch schreckliches geschehen sein, die Spuren weisen auf eine soziale und ökologische Katastrophe hin. Aus der jüngeren Geschichte wissen wir, dass die Überlebenden Rapa Nui in die Sklaverei verschleppt wurden und von den Chilenen als Zwangsarbeiter einer riesigen Schaffarm gehalten wurden. Am Ende blieben weniger als 200 der Ureinwohner übrig.

Den kleinen Flughafen gibt es erst seit1967, davor kam nur einmal im Jahr ein Versorgungsschiff der Marine vorbei. Einen regelmäßigen Schiffsverkehr gibt es allerdings bis heute nicht, die Osterinsel liegt 3.700 Kilometer vom Festland entfernt und der kleine Hafen von Hanga Roa ist nur für Fischerboote geeignet. Es kann also noch dauern, bis Marions Van die neue Antriebswelle bekommt.

Natur pur
Unterwegs auf der Osterinsel

Ich miete mir ein Motorrad. Leider ist der Hebel der Vorderradbremse abgebrochen, das scharfe Ende schneidet in die Finger der rechten Hand und viel Bremskraft bringe ich damit auch nicht auf. Nach wenigen Metern kehre ich um und bekomme eine andere Maschine. Diesmal ist der Kupplungshebel so verbogen, dass die linke Hand quasi darin gefangen bleibt, auch einen Rückspiegel suche ich vergebens. Es ist jedoch die letzte Enduro, sonst müsste ich Roller fahren. Vielleicht ist der TÜV ja doch keine so dumme Sache…

Außerhalb der Stadt stört das alles dann auf einmal nicht mehr. Wozu brauche ich einen Rückspiegel, wenn ich sowieso allein auf der Straße unterwegs bin? Es wird mich ganz sicher kein Pferd überholen, ich muss darauf warten, dass sie mich vorbeilassen. Oder eine Weile in gemächlichem Schritttempo einer Herde Kühe hinterherfahren. Ich habe es nicht eilig, die größte Entfernung beträgt etwa 15 Kilometer, die Sonne scheint und ich genieße den Wind in meinen Haaren. Auch ich fahre ohne Helm und genieße diese seltene Freiheit. 

Baumlose Landschaft

rano kao vulkan
Kratersee des Rano Kao

Markante Vulkane prägen die ansonsten baumlose Landschaft, dazwischen gibt es nicht viel außer Weideland. Wahrscheinlich hat der Bau der kolossalen Statuen so viel Holz verschlungen, dass die Insel im Laufe der Jahrhunderte komplett entwaldet wurde. Ähnlich wie Spanien im 17. Jahrhundert für den Bau der großen Armada. 

Außerdem muss eine beträchtliche Anzahl von Arbeitern damit beschäftigt gewesen und stand dadurch nicht für die Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung. Im 18. Jahrhundert muss die Lage wohl unhaltbar geworden sein, und es kam zu Hunger, Revolten und Bürgerkriegen. Als die Osterinsel 1722 entdeckt wurde, standen die kolossalen Statuen noch, 1784 berichtete ein anderer Reisender von deren Zerstörung. Was in der Zwischenzeit genau passiert ist, bleibt ein Rätsel. 

In den 1990er Jahren haben japanische Investoren die Statuen aufgerichtet und es begann ein sanfter Tourismus. Die Einnahmen daraus kommen jetzt auch den Nachfahren jener Ureinwohner zu Gute, die dieses Weltwunder geschaffen haben.

 

Moai am Rande des Rano Raraku
Moai am Rande des Vulkans Rano Raraku

Dabei wissen noch immer nicht ganz genau, was die Moaí genau darstellen sollten. Die vorherrschende Theorie sieht die Standbilder als Teil eines Ahnenkultes. Sie stellen herausragende Häuptlinge dar, die früher einmal persönlich benannt werden konnten.

Wen auch immer diese schweigend ernsten Steinkolosse verkörpern sollen, ich konnte mich ihrer Magie nicht entziehen. Bei aller Monumentalität haftet ihnen etwas rührendes an. Sie sind ein weiterer kolossaler und wieder vergeblicher Versuch, Macht und Ruhm über die menschliche Lebenszeit hinaus zu bewahren. Auch hier geschah es wieder rücksichtslos zu Lasten von Natur und Mitmenschen, doch es hatte derart fatale Folgen wie sonst nirgends.

Tahiti – traurig im Paradies

Unter Tahiti hatte ich mir, wie wohl die meisten, das Paradies in der Südsee vorgestellt. Schöne Frauen mit Blumen im Haar an palmengesäumten weißen Stränden mit tiefblauem Wasser. An den Stränden von Moorea und dem weit entfernten Bora Bora sieht es auch tatsächlich so aus. Doch gehören sie zu Resorts, die nicht nur sündteuer sind, sondern auch weitab des Lebens außerhalb.

In zwei Tagen geht es für mich weiter, so dass ich mich in einem nicht ganz so sündteuren Resort in der Nähe von Papetee, dem Flughafen eingemietet habe. Im Terminalgebäude spielt eine Band mit Trommeln und Ukulele zur Begrüßung. Das ist hübsch. Nicht so hübsch, dass vom bestellten Hoteltransfer nichts zu sehen ist. Noch schlimmer, dass mir ein Anrufbeantworter verkündet, dass das Büro seit 17 Uhr geschlossen ist. Es ist 23 Uhr und einer der Momente, in denen ich mir unglaublich verlassen vorkomme.

Black Pearl Resort Tahiti on a cloudy day
Hotelzimmer mit Meerblick

Angekommen, verbreitet das Hotel den unvergleichlichen Charme französischer Hotelketten. Ibis, Mercure, Novotel, wer käme da nicht spontan ins Träumen? Von Geschäftreisen nach Heppenheim, Kassel oder Leipzig.

Das „Black Pearl“ ist eine weitläufige Anlage im Betonstil der 1980er Jahre. Ab und an sorgt ein Dach aus Palmblättern für den lokalen Akzent und kontrastiert kokett mit den dunkel eloxierten Aluminiumfenstern. Die Minibar ist leer, im Restaurant gibt es Hinano Bier und ordentliches französisches Fastfood. Das allerdings zu Preisen, die an anderen Orten so manches Gourmet Restaurants nicht zu verlangen wagen würde.

Auch der Vulkansand am Strand ist nicht weiß, sondern schwarz und so höllisch fein, dass er in wirklich jede Ritze dringt.

Melancholische Wanderung

home in Tahiti
Nicht ganz das Bild von einem Haus am Strand

Der Himmel ist wolkenverhangen, dennoch ist es drückend heiß als ich mich meinen Weg beginne. Es ist Sonntag, auf der Hauptstraße, die parallel zum Strand verläuft muss ich auf dem engen Bürgersteig alle paar Meter Jungen Platz schaffen, die mit Wakeboards auf dem Fahrrad unterwegs sind. Wir lachen uns an.

Ein junger Mann mit einer Plastiktüte nimmt mich wahr, überquert die vierspurige Hauptstraße und geht ein Stück hinter mir her. Er ist vielleicht Mitte 20, gut durchtrainiert, trägt Streetwear und eine gestrickte Camouflage Mütze. Ich werde langsamer, auch wenn es heller Tag ist, möchte ich ihn nicht in meinem Rücken haben.

Er sagt bonjour, wir gehen nebeneinander her und nachdem wir beide festgestellt haben, dass es ein verdammt heißer Tag ist, stellt er die üblichen Fragen nach meinem woher und wohin. „Buenos Días amigo“, er kann ein paar Brocken Spanisch. Papeete sei verdammt weit weg meint er.

„Nur noch fünf Kilometer“ sage ich, „was sollte ich sonst hier tun?“  Wir schütteln uns die Hand. „Stimmt“ sagt er, „es gibt wenig zu tun hier und es gibt auch keine Arbeit.“ „Was machst Du denn dann?“ frage ich.

racing boat under a roof
Früher war alles anders

Er grinst „ich bin Pflanzer“ und deutet mit einer Kopfbewegung auf die grünen Hügel, die sich ein paar hundert Meter landeinwärts erheben. „Karotten und so?“, zwinkere ich.  „Nein, grüne Pflanzen!“

Ich halte die rechte Hand über meinen Kopf „etwa sooo hoch?“ „Und soooo dick“ sagt er und hält die Hände etwa einen Meter auseinander. „Und das geht gut?“ frage ich lachend. Er lächelt „Sehr gut sogar, ich sagte doch dass die Leute hier keine Arbeit haben“. Gras und Whisky.

grave on tahiti island
Man wird nicht alt im Paradies

Der Pflanzer biegt in Richtung Strand ab um ein paar Biere zu trinken, ich betrete einen kleinen Friedhof. Er liegt zwischen den Häusern mitten in einem Wohngebiet.

Die Gräber der armen Leute tragen schlichte weiße Kreuze, jene der Wohlhabenden Marmorplatten oder weiße Fliesen. Allen ist gemeinsam, dass nicht sehr viele Jahre zwischen Geburtsdatum und Todestag liegen. Kaum jemand schaffte es weit jenseits 70, erstaunlich viele wurden nicht einmal 60 und viel zu viele erreichten nicht einmal die Hälfte davon.

Es war mir zwar schon aufgefallen, dass viele Menschen hier nicht gerade schlank sind. Paul Gauguins Schönheiten haben ordentlich zugenommen. Dass allein das Übergewicht derart gravierende Folgen haben sollte, konnte ich mir auch nicht vorstellen. Eine mögliche Erklärung liefert mir Monique, die Bedienung der einzigen geöffneten Bar am Hafen von Papetee.

Frankreich hatte seit 1966 Atomwaffentests im Mururoa Atoll durchgeführt. Insgesamt 41 Bomben wurden dort bis 1996 (atmosphärisch und unterirdisch) gezündet, die strahlenden Teilchen fielen ins Meer.

Nun liegt Tahiti zwar 3.000 Kilometer vom Ort dieser Verbrechen entfernt, doch Fische wandern, Fischer fahren weit hinaus und bei einer Bevölkerung, die sich hautsächlich von Fisch ernährt, muss die Strahlenbelastung katastrophale Folgen gehabt haben. Es gibt allerdings nur sehr wenig „wissenschaftliche“ Daten zur Anhäufung der Fälle von Schilddrüsenkrebs in Französisch Polynesien. Warum sollte die Regierung auch Geld für Studien aufwänden, welche den unerfreulichen Verdacht auch noch beweisen würden?

street art in tahiti
Traum und Wirklichkeit

Was ich von Tahiti sehe, wirkt so als hätte es schon längst bessere Zeiten gesehen. Es ist eine Atmosphäre des tropischen Verfalls. Das Paradies wird verdammt trostlos, wenn die ursprünglichen Strukturen dem Geld geopfert wurden und dieses plötzlich aufhört zu fließen.

Monique ist halb Slowakin und halb Polynesierin, sie hat in Paris und London gelebt, doch nun hat es sie in die Heimat ihrer Mutter verschlagen. Ich frage nicht warum. Sie berichtet weiter von 30% Arbeitslosigkeit und sehr großen Problemen mit dem Alkohol. Aha, deswegen war auch die Hotelbar schon um 22 Uhr geschlossen. Natürlich hilft das nicht wirklich, wie einstmals in England wird einfach früher mit dem Trinken begonnen und die Schlagzahl erhöht.

Gauguin ist lange tot und das Zentrum von Papetee auch. Bretterverschläge verschließen Schaufenster von Läden, die wohl schon vor Jahren aufgeben mussten. Ich habe gelesen, dass die Verbreitung von Graffiti ein Gradmesser für den sozialen Verfall einer Gegend sei. Wo niemand mehr ein Geschäft betreibt, oder eine bürgerliche Wohnkultur pflegt, bildet  sich eine jugendliche Parallelkultur mit ihrer eigenen Zeichensprache.

road to rio
Was wohl daraus geworden ist?

Ich erreiche den Yachtclub von Papetee. Eine verblichene Wandmalerei kündet noch vom Träumen und Optimismus der Olympischen Segler. Was daraus wurde, weiß ich nicht. Ich fürchte jedoch, nicht allzu viel.

An einen der Tische im „Coconut Point“, dem kleinen Clubrestaurant, bestelle ich eine Flasche Bier, deren Etikett eine Gauguin Schönheit ziert. Dazu rohen Fisch mit Kokosmilch und Reis. Die lokale Spezialität. Das Lokal ist verhältnismäßig gut besucht, es ist dennoch sehr ruhig, die Gespräche sind gedämpft. Wir essen und blicken auf den kleinen Hafen, in dem die Boote still vor sich hingammeln. Die kleine Mahlzeit kostet mich fast 20 Euro, Tahiti ist ein teures Pflaster.

tahiti taxi driver
Ja, es ist ein Taxi

Die hohen Preise seien auch der Grund, warum die Touristen wegbleiben, erklärt mir der Fahrer auf dem Weg zurück ins Resort.

Ich hatte ihn zunächst für einen Obdachlosen gehalten, so wie er ein paar Meter von einem einsamen Taxi entfernt, mit freiem Oberkörper, im Schatten saß. Das ist dann auch das versiffteste Auto, in dem ich jemals gesessen bin. Das Armaturenbrett ist mit rotem Staub überzogen und zwischen den Sitzen herrscht ein unbeschreibliches Chaos aus zerknüllten Papiertaschentüchern, Essensresten und einer beachtlichen Sammlung von Strafzetteln. 20 Euro kosten die acht Kilometer. Das seien nun mal die Preise, er mache sie nicht.

Mein Flug startet um 3 Uhr morgens, ich bin dennoch heilfroh. Es gibt ein paar Orte, von denen ich sicher weiß, dass ich nie wieder dorthin zurückkehren werde. Tahiti steht jetzt auch auf dieser Liste. Eigentlich schade, die Menschen hier verdienen etwas besseres.

iovivo Newsletter

Jetzt abonnieren:

Kein Spam! Deine Daten sind bei mir sicher und werden niemals weitergegeben. Du kannst dich jederzeit wieder abmelden. Seite ist geschützt mit reCAPTCHA.