Müde in Melbourne
Hier liege ich nun, angekommen am anderen Ende der Welt. Die Hälfte meiner Reise liegt noch vor mir. Draußen scheint die Sommersonne bei angenehmen 28 Grad und es wartet eine Stadt auf mich, die zur lebenswertesten der Welt gekürt wurde.
Trotzdem kriegen mich keine zehn Pferde vom Sofa meines AirBnB Apartments. Gestern bin ich zwölf Kilometer gelaufen, habe über 50 Bilder gemacht, heute waren es bis zum Mittagessen auch schon wieder zehntausend Schritte und es bleibt noch so viel zu erkunden, so viel zu erleben, so viele Lokale zu besuchen, Speisen zu verkosten und Weine zu probieren.
Es ist einfach zu viel für fünf Tage, fünf Monate wären angemessen und so reagiere ich wie jeder, der sich überfordert fühlt: ich mache einfach mal nichts
Verdammt, ich habe einen Reise Burnout
Das gibt es, doch natürlich spricht niemand darüber. Reisende müssen geradezu immer glücklich sein, denn sie erleben jeden Tag tolle Dinge bei gutem Wetter und müssen nicht ins Büro. Selfies auf dem Sofa sind auch nicht geeignet den Neid der daheim gebliebenen zu erwecken. Weil Reisende kein Attest brauchen, um sich beim Arbeitgeber zu entschuldigen, gehen Ihre Beschwerden auch in keine Statistik ein. Sogar bei Google habe ich auch nur zwei Treffer zum Thema gefunden.
An sich ist die Sache ganz logisch: Auch Reisen verursacht Stress und wer sich zu lange Stress aussetzt, reagiert mit depressiven Verstimmungen. Neudeutsch auch Burn Out genannt. Ganz gleich, ob die Belastung durch ausbeuterische Arbeitgeber verursacht wurde, oder hedonistische Selbstausbeutung beim Sightseeing.
Reisen ist Stress
Mal ganz ehrlich. Koffer packen, mitten in der Nacht zum Flughafen fahren, mehrfach Schlange stehen, beim einchecken, an der Sicherheitskontrolle und nochmals, um endlich an Bord gehen zu können macht keinen Spaß. Tut man es einmal für den großen Urlaub, ok. Doch wie wäre es damit, diese Prozedur alle paar Tage durchzuziehen?
Genau das mache ich jetzt schon seit einem Jahr, mit kurzen Pausen. Es ist kein Monat vergangen, in dem ich nicht zumindest zwei Flüge absolviert hätte. Dazu kommt, dass fliegen nicht einmal auf den vorderen Bänken ein ausgesprochenes Vergnügen ist. Fünf Stunden Zwischenaufenthalt sind einfach nervig, auch wenn ich sie in einer Lounge bei freien Getränken absitzen darf und an endlich Bord ein Glas Champagner in die Hand gedrückt bekomme.
Auf die schlaflose Nacht in Taxis, Lounges und an Bord folgen unweigerlich ein paar weitere Nächte mit Schlafstörungen durch Jetlag.
Veränderte Lebensumstände
Wir mögen Veränderungen noch so sehr als Abwechslung von einem Alltag schätzen, den wir als langweilig empfinden, doch auch sie verursachen Stress. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, darin unterscheidet er sich nicht von den anderen Tieren.
Dummerweise halte ich das mitteleuropäische Klima zwar nicht aus, doch mag ich es auch nicht allzu warm. Über 30 Grad im Schatten bei entsprechender Luftfeuchtigkeit beeinträchtigen mein Wohlbefinden ziemlich stark. Mein Fehler, dass ich mich seit zwei Monaten in Südostasien aufhalte.
Das Essen dort vertrage ich hingegen besser, als die europäische Kost. Auch die etwas anderen hygienischen Bedingungen machen mir nichts aus. Viele Reisende haben damit extreme Probleme, für mich sind sie Bestandteil einer gewissen Exotik. Ehrlich gesagt, sehen deutsche Autobahntoiletten auch nur gepflegter aus. Sie stinken jedoch schlimmer als mein Referenzobjekt in Cambodia. Das wird nach jedem Besuch gewässert und gebleicht.
Permanenter Erlebniszwang
Während ich das schreibe, muss ich still über mich selbst grinsen. Ausgerechnet ich als ausgemachter Verächter von Sehenswürdigkeiten und jedweder Verpflichtung nehme die Absolvierung eines touristischen Minimalprogramms doch noch zu ernst.
Das liebe Unterbewusstsein… Schließlich habe ich mir das Reisen als hauptsächliche Lebensaufgabe ausgesucht und mir vorgenommen, darüber zu berichten. Also muss ich doch auch liefern!
Wäre es nicht unverzeihlich einen Ort zu verlassen, ohne atemberaubende Bilder und Erlebnisberichte, wen interessieren schon meine Befindlichkeiten? Für den Fall, dass es dem einen oder anderen meiner Mit-Reisenden auch so ergeht, habe ich ein paar Sofortmaßnahmen am Urlaubsort getestet.
Das süße Nichtstun
Ein bequemes Sofa, australischer Shiraz und Bitterschokolade nach einem Sushi Menu. Hört sich gut an, oder? Es ist obendrein (pseudo) wissenschaftlich erwiesen, dass diese Kombination stimmungsaufhellend wirkt. Dunkle Schokolade und Fisch enthalten jede Menge L-Tryptopahan für die Serotonin Produktion, Rotwein hingegen verzögert den Serotonin Abbau.
Noch wichtiger jedoch, den Lebensrhytmus auch auf Reisen zu entschleunigen. Idealerweise nur noch einen Ortswechsel pro Monat zu planen. Mal ganz ehrlich: wie viel kann ich von einer Stadt in zwei, drei Tagen, sogar einer Woche wirklich kennenlernen? Ich kann bestenfalls an der Oberfläche kratzen, ein paar Highlights ansehen, ein paar “angesagte” Lokale besuchen. Die Zeit ist jedoch viel zu kurz, um mit Einheimischen in Kontakt zu kommen, deren Lebensweise kennenzulernen und Vertrauen zu erwerben.
Ich habe für meine Reise um die Welt nur etwas mehr als jene 80 Tage eingeplant, die Jules Verne als gerade noch machbare Utopie erschienen. Auch wenn ich große Strecken praktisch mühelos im Jet überbrücke, bleibt bei mir jedes Mal wenn ich einen Ort wieder verlasse ein schales Gefühl der Oberflächlichkeit zurück. Oft sehe ich auch aus dem Kabinenfenster und frage, mich was dort unten eigentlich ist. Finde es schade, dass mir das entgeht.
Für meine nächste Reise um die Welt werde ich mir daher 12 Monate Zeit nehmen. Mehr als drei Monate pro Kontinent (Afrika lasse ich aus). Vielleicht fahre ich sogar ganz in Ruhe die Route von Phileas Fogg nach.